Kunststoffverbesserer

„Eine echte Circular Economy liefert zentrale Antworten auf Rohstoff-, Müll- und Klimakrise.“

Intro-Bild mit Kathrin Lenz und dem Zitat "Echte Circular Economy liefert zentrale Antworten auf Rohstoff-, Müll- und Klimakrise.

Kathrin Lenz ist Expertin für Circular Economy und arbeitet seit kurzem bei Sykell an der Umsetzung geschlossener Kreisläufe durch skalierte und digitalisierte Mehrwegverpackungssysteme. Zuvor war sie bei der SEA ME GmbH tätig, dem Betreiber des ersten offenen Mehrwegsystems für Kosmetik- und Drogerieprodukte, wo sie ein Kunststoffgebinde vom Prototyp bis zur Markteinführung mitentwickelte. Im Interview spricht sie über ihre Begeisterung für Mehrweglösungen, was es für echte Kreisläufe in der Praxis braucht und wie zirkuläre Systeme, digitales Design und Mehrwegverpackungen in einer echten Kreislaufwirtschaft zusammenwirken.

Was begeistert Sie an den Themen Kreislaufwirtschaft und zirkulären Produkten und auf welchen Ebenen leisten Sie hierzu einen Beitrag?

Schon im Studium der Umweltwissenschaften beschäftigte ich mich mit natürlichen Stoffkreisläufen und deren Störung durch unser Wirtschaften. Die damalige Fokussierung auf Schadensbegrenzung empfand ich als zu kurz gedacht. Das änderte sich, als ich auf Cradle to Cradle und die Circular Economy stieß – Ansätze, die konstruktiv und zukunftsgerichtet sind.

 

Wenn wir unsere Lebensgrundlagen und einen gewissen Wohlstand erhalten wollen, müssen wir anders wirtschaften. Wir müssen Produkte von Anfang an modular, reparierfähig und wiederverwendbar gestalten. Dann wird „Abfall“ zum neuen Rohstoff, ökologisch und ökonomisch sinnvoll. Zirkuläre Geschäftsmodelle wie Product-as-a-Service machen Lieferketten resilienter und unabhängiger.

 

Solche Produkte funktionieren nur im Zusammenspiel mit Nutzerinnen und Nutzern, zirkulären Geschäftsmodellen und politischen Rahmenbedingungen, komplex vernetzt wie ein Ökosystem – das fasziniert mich. Ich bin überzeugt, dass eine echte Circular Economy zentrale Antworten auf unsere Rohstoff-, Müll- und Klimakrise liefert. Deshalb engagiere ich mich beruflich wie ehrenamtlich für die zirkuläre Transformation in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.

Portraitfoto von Kathrin Lenz, Projektmanagerin für Circular Solutions bei Sykell.
SEA ME

Über Kathrin Lenz

Kathrin Lenz ist Projektmanagerin Circular Solutions bei Sykell. Sie ist überzeugt: Echte Kreislaufwirtschaft entsteht nicht durch Einzelmaßnahmen, sondern durch vernetzte Systeme – klug entwickelt, digital gesteuert und kollaborativ umgesetzt. Ihre Vision: Verpackungslösungen, die ökologisch wie ökonomisch überzeugen und im Alltag funktionieren. „Eine Mehrwegverpackung ist nie nur das physische Produkt, sondern immer Teil eines intelligenten Rücknahme-, Reinigungs- und Logistiksystems. Wenn wir Produktdesign, Digitalisierung und zirkuläre Infrastruktur zusammen denken und interoperabel gestalten, wird Kreislaufwirtschaft alltagstauglich – genau daran arbeite ich“, erklärt Lenz.

Wie sieht Ihre praktische Arbeit daran aus und warum der Fokus auf Mehrwegverpackungen?

Das Interesse an kreislauffähigen Verpackungen führte mich zu Mehrwegsystemen. Auch wenn die Einmalnutzung bei manchen Verpackungen sinnvoll sein kann, gibt es doch genug Anwendungsszenarien, wo Mehrweg eine ökonomisch und ökologisch sinnvolle Alternative und Vorteile bietet.

 

Während meiner Tätigkeit bei einem Food-Start-up habe ich die Umstellung auf Mehrweg begleitet und mich gemeinsam mit Partnern mit der sektorenübergreifenden Nutzung von MMP-Gläsern beschäftigt. Daraus sind 2022 der Mehrwegverband Deutschland und auf EU-Ebene die New European Reuse Alliance (New ERA) entstanden. Beide Organisationen setzen sich dafür ein, die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Verpackungswende durch Mehrwegsysteme zu verbessern.

 

Mich begeistert die Vielfalt an Mehrwegansätzen – von Prefill- und Refill-Lösungen in Lebensmitteleinzelhandel und Gastronomie über E-Commerce bis zu B2B-Transportverpackungen. Dabei ist die Verpackung immer Teil eines Systems aus Rücknahme-, Rückführungs- und Reinigungslogistik. Die Herausforderung liegt darin, Vielfalt zu ermöglichen und gleichzeitig Kompatibilität zu schaffen.

PET-Mehrweg-Kosmetikflasche mit Lavendelzweigen und zwei kleine Schalen mit Salz und gelben Körnern.
SEA ME

SEA ME hat gemeinsam mit ALPLA die erste PET-Mehrwegflasche für Kosmetikprodukte entwickelt. Wie funktioniert der sogenannte zerooo-Kreislauf?

SEA ME hat das etablierte Pfandsystem für Getränkeflaschen auf Kosmetik übertragen – mit Glas- und PET-Flaschen im offenen „zerooo“-System, rückgabefähig über Kassen in Drogerien und Pfandautomaten im Einzelhandel. Auch das Geschäftsmodell ist zirkulär: Die Flaschen werden nicht verkauft, sondern als Service gegen eine Nutzungsgebühr bereitgestellt. SEA ME als Systembetreiber kümmert sich um Bereitstellung, Rückführung, Reinigung, Pfandmanagement und Recycling.

 

Glas ist migrationsstabil und langlebig, aber für viele Produkte – etwa Duschgel – zu bruchanfällig. Darüber hinaus teuer in der Herstellung, schwer im Transport und nicht jeder Abfüller ist auf Glasflaschen ausgelegt. Daher haben wir gemeinsam mit ALPLA und der TU Hamburg eine PET-Mehrweg-Kosmetikflasche entwickelt basierend auf Design-for-Reuse- und Design-for-Recycling-Prinzipien: Monomaterial, dickwandig, UV-stabil, Pfandautomaten-kompatibel, geeignet für 10 bis 15 Wiederverwendungen, vollständig recyclingfähig – und versehen mit einem serialisierten Code nach GS1-Standard, um ein digitales Mehrwegmanagement zu ermöglichen. Aktuell noch eine Neuheit auf PET-Flaschen. Durch definierte Vorgaben bezüglich rückstandslos trennbarer Monomaterialverschlüsse und spezielle wash-off Etiketten ist ein hochwertiger Kreislauf möglich.

 

Heute sind zerooo-Produkte neben SEA ME selbst von unterschiedlichen Markenpartnern wie Aveo, Sodasan, Speick, forpeoplewhocare und denttabs bei rund 1.000 Verkaufsstellen in Deutschland und Österreich erhältlich, darunter Müller, Budni, sowie einzelnen REWE und Edeka-Filialen – ein Beleg dafür, dass ein Mehrwegsystem auch im Kosmetikbereich umgesetzt werden kann.

Der Einfach-Mehrweg-Kreislauf von Skyell als Grafik - 1. Phase: Point of Sale, 2. Phase: Use - 3. Phase: Automated Return - 4. Phase: Return Logistics - 5. Washing & Deposit Clearing - 6. Phase Delivery to Client
Skyell

Seit August 2025 sind Sie bei Sykell tätig, was ist dort geplant?

Auch bei Sykell geht es mir um die Transformation zu einer Circular Economy, in der Mehrwegverpackungen ganz natürlich zum Alltag gehören. Ich arbeite daran, die beiden systemisch-digitalen Ansätze von Sykell weiter voranzubringen: das offene, pfandbasierte Mehrwegsystem „EINFACH MEHRWEG“ mit prefill- und refillfähige Lebensmittelverpackungen sowie die cloudbasierte Poolmanagement-Plattform „CIRCULAR ERP“ zur Steuerung und Automatisierung von zirkulären Wertschöpfungsketten.

 

In der Praxis bedeutet das, langlebige PP-Mehrwegverpackungen in aktuell 7 Varianten – stapelbar, recycelbar, für mindestens 500 Umläufe ausgelegt und Pfandautomaten-kompatibel – gemeinsam mit Handelspartnern, Abfüllern und Gastrobetrieben in einem skalierbaren Rücknahme- und Reinigungsprozess zu zirkulieren. Serialisierte Codes nach GS1-Standard auf den Behältern ermöglichen Track&Trace sowie Pfandclearing. Rückgaben erfolgen bundesweit an über 6000 Rückgabestellen über gängige Pfandautomaten bei REWE, aber auch HIT, Nahkauf und Tankstellen nehmen bereits teil.

 

Gleichzeitig stellen wir mit CIRCULAR ERP ein digitales Rückgrat für zirkuläre Systeme bereit: Die Plattform bietet Mehrwegsystemanbietern Funktionen wie Poolmanagement, Pfandclearing, Rückverfolgbarkeit und Nachhaltigkeitsauswertung, mit digitalen Schnittstellen zur einfachen Integration in bestehende digitale Infrastrukturen. Dies ermöglicht, dass zirkuläre Produktlösungen skalierbar, interoperabel und messbar werden – und Kreislaufwirtschaft als effektives Ökosystem realisierbar wird.

Das Mehrweg-System Sykell im Einsatz - ein Person isst ein buntes Mittagessen aus einer Sykell-Mehrweg-Box, daneben stehen ein Joghurt und ein kleines Schälchen.
Sykell

Über Sykell

Sykell ist ein Berliner ClimateTech-Start-up, das sich auf die Entwicklung und den Betrieb offener, digital unterstützter Mehrwegsysteme spezialisiert hat. Mit dem Mehrwegpfandsystem „EINFACH MEHRWEG“ bietet das Unternehmen eine skalierbare Lösung für prefill- und refillfähige Lebensmittelverpackungen im Handel. Ergänzt wird das Angebot durch „CIRCULAR ERP“, eine cloudbasierte Softwareplattform zur digitalen Steuerung zirkulärer Produktkreisläufe – von Rückverfolgung über Pfandclearing bis hin zu Nachhaltigkeitskennzahlen. Ziel von Sykell ist es, Mehrwegsysteme für Unternehmen wirtschaftlich attraktiv, interoperabel und im Alltag umsetzbar zu machen – und damit die zirkuläre Transformation zu beschleunigen.

Was bedeutet Innovation und Transformation für Sie im Kontext von Kunststoffverpackungen und welche Verantwortung tragen aus Ihrer Sicht junge Talente für die Transformation zur Circular Economy?

Für mich bedeutet Innovation, von Anfang an konsequent zirkulär zu denken. Die klassische, abfallorientierte Kreislaufwirtschaft greift oft zu spät. Trotz Getrenntsammlung steigen Müllmengen und Ressourcenverbrauch weiter, das Kunststoffrecycling bleibt hinter den Erwartungen. Transformation heißt, lineares Denken zu überwinden und Verpackungen als Teil geschlossener Wertstoffsysteme zu begreifen.

 

Dazu braucht es zirkuläres Design entlang der R-Strategien – etwa durch Verpackungsvermeidung oder biobasierte Alternativen bspw. aus Agrarreststoffen, Pilzmyzel oder Algen. Solche Lösungen sind zwar teilweise heimkompostierbar, erfordern aber im großen Maßstab klare Kennzeichnung, angepasste Sammelsysteme  und können ebenfalls recyclingfähig gestaltet sein, je nach Anwendung. Welches gesamtgesellschaftliche Potential effektive Mehrwegsysteme hinsichtlich Ressourceneinsparung, Müllvermeidung und sozialer Kostenersparnis bergen – insbesondere bei ihrer Skalierung – zeigen zahlreiche Praxisbeispiele und Studien. Voraussetzung sind definierte Nutzungszyklen, langlebige Monomaterialien und Systeme, die praktisch und einfach zu nutzen sind – für Produzenten, Händler und Konsumenten.

 

Auch Einwegverpackungen müssen besser zirkulieren, denn selbst wir Deutschen als „Mülltrenn-Profis“ gewinnen über die Dualen Systeme aus Kunststoffverpackungen aktuell weiterhin nur rund die Hälfte PCR zurück (Conversio Stoffstrombild, 2024) . Etwa über Pfandsysteme, die heute schon sehr hohe Rücklaufquoten erzielen, oder über digitale Track-&-Trace-Lösungen. Für recyclingfähige Einwegverpackungen braucht es klare Materialstandards und sortenreine Sammlung. Die prognostizierte Rezyklatlücke von 30 Prozent bis 2030 zeigt: Recycling allein reicht nicht, es braucht ganzheitlich gedachte zirkuläre Systeme – wie Mehrwegsysteme.

 

Junge Talente sind dabei ein Schlüssel: Sie bringen neue Perspektiven, systemisches Denken und Mut zur Veränderung mit. Wer heute einsteigt, kann die Zukunft der Circular Economy entscheidend mitgestalten.

Was sind die R-Strategien?

Die R-Strategien beschreiben ein hierarchisches Konzept für zirkuläres Wirtschaften – von der Vermeidung bis zur Rückgewinnung. Sie helfen, Produkte wie Verpackungen systematisch so zu gestalten, dass Materialien möglichst lange im Kreislauf bleiben.

 

 Die wichtigsten Stufen im Überblick:

Refuse & Rethink

Verpackung vermeiden oder durch innovative, alternative Materialien ersetzen

Reduce

Materialeinsatz durch effizientes Design minimieren

Reuse, Repair, Remanufacture

Wiederverwendung ermöglichen, z.  durch Mehrweg, Reparatur oder Aufbereitung

Recycle

Materialien sortenrein zurückführen und hochwertig recyceln

Recover

Rückgewinnung von Energie aus nicht mehr verwertbaren Materialien

Wo steht die Kreislaufwirtschaft in zehn Jahren – ist ein geschlossener Kreislauf realistisch?

Vollständig geschlossene Kreisläufe werden wir bis dahin natürlich nicht erreichen – aber wir werden deutlich weiter sein – weil wir es müssen. Der immer frühere Earth Overshoot Day oder auch der Circularity Gap Report 2025 zeigen, wie dringend es ist: Die globale Kreislaufrate ist auf nur 6,9 Prozent gesunken. 90 Prozent aller eingesetzten Materialien enden als Abfall oder Emission – das ist alarmierend.

 

Gleichzeitig sehen wir Fortschritte, was ein Blick zurück verdeutlicht: Vor 10-15 Jahren war Circular Economy noch eher ein theoretisches Konzept, akademisch und NGO getrieben, und Kreislaufwirtschaft gleich Abfallwirtschaft. Seitdem hat es das Thema aus der Nische geschafft und wird zunehmend zum Mainstream. Auch durch Organisationen wie die Ellen MacArthur Foundation und Cradle to Cradle NGO, die es in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft getragen haben. Heute ist Circular Economy ein strategisches Leitbild für Politik und Unternehmen und das Verbraucherbewusstsein ist gewachsen. Regulatorisch bringt 2020 der Circular Economy Action Plan (CEAP), die EU-Verpackungsverordnung (PPWR) und die Ökodesign-Verordnung (ESPR) in 2024 weiter Schwung in die Sache.

 

Die Marschrichtung der EU ist richtig: bis 2030 weltweit führend auf dem Gebiet der Kreislaufwirtschaft. Noch stärkerer Fokus sollte jedoch auf Abfallvermeidung durch das Produktdesign statt auf Recycling gesetzt werden. Und wir müssen noch mehr von der Strategien-Ebene in die tatsächliche, großflächige Umsetzung kommen.

Zusätzlich zu allen Kreislaufbemühungen brauchen wir dringend ein global rechtsverbindliches Plastikabkommen mit klaren Produktionsgrenzen sowie Regelungen hinsichtlich gefährlicher Chemikalien. Das Scheitern der letzten Verhandlungen war ein gehöriger Dämpfer. Der Knackpunkt wird sein, die Blockadehaltung der Ölindustrie aufzulösen.

 

Ermutigend ist, dass immer mehr Unternehmen verstehen, dass zirkuläre Geschäftsmodelle nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich strategisch sinnvoll sind. Sie verbessern die Ressourcensouveränität sowie Resilienz von Lieferketten, und helfen, regulatorische und ressourcenbezogene Risiken aktiv zu verringern. Wenn wir Skalierung, Digitalisierung, Design und Infrastruktur zusammendenken, können wir in vielen Bereichen funktionierende Kreislaufsysteme schaffen.

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